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Erlebnisbericht von Alexandra P.

TEXT VON MONIKA BACHMANN, FOTO VON LEA MOSER

Alexandra P. fühlt, was jede Mutter fühlt: Liebe. Damit sie für ihre Kinder die Verantwortung übernehmen kann, arbeitet die Frau mit der langjährigen Suchtgeschichte hart an sich. In der Therapiegemeinschaft Muschle findet sie Unterstützung.

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Sie ist 32. Sie hat zwei Kinder. Und sie war drogenabhängig. Alexandra P. steht im Korridor des denkmalgeschützten Hauses an der Muristrasse 28 in Bern. Ihr braunes Haar ist glatt gekämmt. Ihre Oberarme sind kräftig. Sanft wiegt sie darin ihre Tochter Michelle. Sieben Monate alt ist die Kleine, die lebhaft vor sich hin plappert. Auf dem Gesicht der Mutter zeichnet sich ein Lächeln ab. Michelle lässt sich nicht lange bitten, dann verzückt ein Lachen auch ihr Gesicht. Es ist Freitagmorgen. Ein Vormittag, der in der Therapiegemeinschaft Muschle ganz der Mutter und ihrem Kind gehört. «Alexandra ist eine gute Mutter», sagt Sabrina Leo. Die Fachmitarbeiterin Mutter-Kind steht den beiden während ihres stationären Aufenthaltes als Bezugsperson zur Seite und unterstützt sie in der Förderung ihrer «Mutterressourcen», wie sie erklärt. Alexandra P. sagt: «Wenn ich mal überfordert bin, bekomme ich hier Unterstützung.»

Im Strudel der Abhängigkeit

Im September 2013 ist Alexandra P. in die Muschle, die Therapiegemeinschaft für suchtmittelabhängige Frauen, Schwangere und Mütter mit Kindern, eingezogen. Kurz vorher erblickte Michelle das Licht der Welt. Die Ankunft im Leben war für das Baby mit gewissen Komplikationen verbunden: «Methadonentzug», sagt Alexandra P. mit zurückhaltender Stimme. Weil die Mutter während der Schwangerschaft im Methadonprogramm war und gelegentlich Drogen konsumierte, musste das neugeborene Kind zuerst vom Stoff entzogen werden. Alexandra P. bringt eine bewegte Vergangenheit mit. Bereits im Schulalter kommt sie in Kontakt mit Cannabis. Nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit macht sie «nichts», wie sie sagt, und gerät in den Strudel der Abhängigkeit. Wegen drohender Verwahrlosung wird sie in eine stationäre Jugendeinrichtung eingewiesen und beginnt dort eine Lehre als Malerin. Im dritten Lehrjahr sei sie dann «total abgestürzt », so Alexandra P. Sie spritzt sich Heroin. 13 Jahre lang treibt es die junge Frau herum. Sie lebt nirgends. Und sie schafft an. Nicht alles im Griff 2009 kommt die Wende. Die damals 28-Jährige macht einen stationären Drogenentzug – und wird in dieser Zeit zum ersten Mal schwanger. Neun Monate später wird Natascha geboren. Alexandra P. nimmt ihr Handy zur Hand, wischt mit dem Finger über den Desktop und zeigt ein Foto eines dunkelhaarigen Mädchens mit Lockenkopf. In diesem Moment trübt sich ihr Blick. «Natascha lebt zurzeit bei meinen Eltern.» Die Beiständin des Kindes habe dies zum Wohl der Vierjährigen verordnet. «Sie ist der Meinung, dass ich meine Sucht noch zu wenig im Griff habe und deshalb nicht in der Lage bin, beide Kinder bei mir zu haben.» Alexandra P. sagt es und lässt durchblicken, dass sie mit diesem Entscheid grosse Mühe hat.

Interessenkonfl ikte vermeiden

Im Zimmer der Mutter steht denn auch noch ein drittes Bett. «Es ist bereit für Natascha», sagt Alexandra P. Vorerst aber muss sie sich in Geduld üben und an sich arbeiten. Gemeinsam mit anderen jungen Frauen und deren Kindern teilt sie in der Muschle ihren Alltag. Der beginnt morgens um acht, wenn die Bewohnerinnen am Guichet ihre Medikamente abholen. Danach gibt es Frühstück. An zwei ganzen Tagen und zwei Halbtagen wird Michelle in der Kindertagesstätte Zazabu betreut, die im gleichen Haus stationiert ist und auch von suchttherapiebärn betrieben wird. In dieser kinderfreien Zeit steht für die Mutter Therapie auf dem Programm. In der Muschle hat jede Klientin zwei Bezugspersonen. Die eine ist für die Frau zuständig, die andere legt den Fokus auf das Kind und die Rolle der Mutter. «Wir halten die Interessen der Frau und jene des Kindes bewusst auseinander, weil es sonst zu Konflikten kommen kann», betont Fachmitarbeiterin Sabrina Leo. Die Bedürfnisse einer Frau mit Suchtvergangenheit und die Rolle als Mutter sind nicht immer im Einklang, was sich negativ auf das Wohl des Kindes auswirken kann.

Therapie mit Praxisbezug

Alexandra P. übt sich also in der Reflexion ihres Verhaltens und arbeitet an ihren persönlichen Zielen. «Ich möchte zusammen mit meinen beiden Kindern ein normales Leben führen», sagt sie. Diese Aufgabe stellt hohe Ansprüche, zumal sie in ihrer Mutterrolle nicht auf einen unterstützenden Vater zählen kann: Von Nataschas Vater lebt Alexandra P. längst getrennt und den Vater von Michelle bezeichnet sie als «nicht existent». Ihre individuelle Entwicklung ist Thema der wöchentlichen Einzel- und Gruppengespräche. Parallel dazu nimmt sie regelmässig an körperzentrierten Angeboten und an der Maltherapie teil. Um Schritt für Schritt vorwärtszukommen, macht sie ausserdem bei einer externen Fachperson eine Psychotherapie. Im Alltag der Muschle trainiert man aber auch das Handwerk und praktische Fähigkeiten: «Putzen, kochen, waschen», zählt die Klientin auf – und rümpft dabei die Nase.

Das Wohl der Mutter

Alexandra P. weiss, dass sie noch einen Weg vor sich hat. «Es geht mir gesundheitlich besser, aber ich muss die Sucht noch besser kontrollieren», sagt sie. Trotz der ausgeprägten Liebe, die sie ihren beiden Kindern gegenüber empfindet, ist sie in den letzten Monaten und Jahren immer wieder «abgestürzt». Auch nachdem Michelle geboren wurde. Und auch nachdem sie in die Muschle eingetreten ist. Für Sabrina Leo gehört der Umgang mit Rückfällen zwar zur Suchttherapie. Doch die Verantwortung als Mutter lässt keine Spielräume zu: «Es ist eine enorme Herausforderung, sieben Tage die Woche für ein Kind da zu sein.» In diesem Zusammenhang weist sie auf einen entscheidenden Punkt hin: «Die Frau muss zur Erkenntnis kommen, dass sie die Therapie in erster Linie für sich und nicht für das Kind macht.» Auch Alexandra P., die inzwischen mit Michelle im Mutter-Kind-Zimmer am Boden sitzt und spielt, ringt mit diesem Thema. Sie sagt: «Ich bin hierhergekommen, damit ich mit meinem Kind zusammen sein kann.» Inzwischen weiss sie, dass das geplante Zusammenleben mit ihren Töchtern direkt von ihrer persönlichen Entwicklung abhängt. Es geht um das Wohl der Mutter. Alexandra P. sehnt sich nach dem Tag, an dem neben Michelle auch Natascha im Bett an der Muristrasse 28 einschlafen wird. Und sie kämpft dafür, einst als stolze Mutter ein selbstständiges Familienleben führen zu können.


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Die Stiftung suchttherapiebärn ist eine gemeinnützige Nonprofit-Organisation und betreibt seit 1972 sozialtherapeutische Einrichtungen für suchtmittelabhängige Menschen. Heute sind dies ein Therapieangebot für suchtmittelabhängige Einzelpersonen und Paare sowie ein Betreutes Wohnen.
Im Jahr 2000 wurde die Kindertagesstätte Zazabu eröffnet und bietet mit ihrem parkähnlichen und sehr kinderfreundlichen Garten zahlreiche Spielmöglichkeiten. Mittlerweile bestehen auf dem Geländer an der Muristrasse 28 drei altersgetrennte Gruppen für Kinder im Alter von 3 Monaten bis 6 Jahren. In der nahe gelegenen Tagigruppe an der Schosshaldenstrasse werden Kindergarten- und Schulkinder bis zur vollendeten 1. Klasse betreut.